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Burcu Ünsal Çeküç, Literatur-Agentin der KALEM Agency

© Burcu Ünsal Çeküç

Digitalisierung, Pandemie, Flüchtlinge – wie steht es vor diesem Hintergrund heute um den türkischen Kinderbuchmarkt? Dazu ein Interview mit Burcu Ünsal Çeküç, Literatur-Agentin der Kalem Agency aus Istanbul.

Wie hat sich Ihr Arbeitsalltag in der Pandemie als Literatur-Agentin für Kinderbücher verändert?

Ich habe Anfang 2020 begonnen, Kinderbuchautoren und Illustratoren aus der Türkei zu vertreten, also kurz vor der Pandemie, und befand mich somit mitten in diesen surrealen Zeiten. Ein großer Teil der Arbeit eines Literaturagenten besteht darin, E-Mails zu verschicken – sowohl um mit neuen Verlagen in Kontakt zu treten als auch um mit alten Freunden in Verbindung zu bleiben, was während der Pandemie noch wichtiger geworden ist. Außerdem werden Meetings durch virtuelle Treffen ersetzt. Ein Vorteil davon ist, dass wir jetzt Verleger kleinerer Verlage treffen können, die wir normalerweise auf Buchmessen nicht zu Gesicht bekommen. Das Gleiche gilt für Verlage jenseits des Ozeans, die in der Regel nicht die Zeit oder das Budget haben, um Buchmessen in Europa zu besuchen.

Da sich die Online-Kommunikation jetzt immer mehr durchgesetzt hat, sind auch die Möglichkeiten, unsere Titel zu bewerben, vielfältiger geworden. So sind Newsletter und Rechtekataloge jetzt wichtiger und müssen interessant gestaltet sein, um die Aufmerksamkeit der Verleger zu gewinnen.

Was ist das Besondere am Kinderbuch-Markt in der Türkei?

Ich habe 2011 angefangen, als Lektorin für Kinderbücher zu arbeiten. So kann ich getrost sagen, dass sich der Kinderbuchmarkt in der Türkei in den letzten zehn Jahren sehr verändert hat. Vor zehn Jahren waren Eltern und Lehrer noch voreingenommen gegenüber Bilderbüchern, die für sie ein völlig neues Genre waren, da die meisten von ihnen ohne sie aufgewachsen sind. Bilderbücher waren damals auch bei Verlagen nicht besonders nachgefragt. Aber heute werden die Rechte eines berühmten Bilderbuch-Autoren verkauft, noch bevor das Werk veröffentlicht wird.

Laut dem türkischen Verlegerverband machten Kinderbücher 2020 sogar 10,33% der Verlagsbranche aus – mit einer Gesamtsumme von 44.763.278 veröffentlichten Exemplaren. Jedes Jahr werden mehr und mehr Werke für Kinder vorgestellt und es wird für Lehrer und Eltern schwieriger, mit neuen Titeln Schritt zu halten. Social-Media, namentlich Bookstagrammer, spielen für Eltern in der Türkei eine wichtige Rolle, um sich über neue Bilderbücher zu informieren. Der Verkauf an Schulen ist mittlerweile ebenfalls ein wichtiger Aspekt des hiesigen Kinderbuchmarktes.

Im Kinder- und Jugendbuch-Genre sind seit vielen Jahren besonders stark digitale Formate wie Audio Content, Apps oder Games nachgefragt. Ist das auf dem türkischen Markt auch so? Und falls nicht – woran liegt das?

Die Pandemie hat den digitalen Markt in der Türkei beschleunigt. Die Verlage haben nun die Bedeutung des digitalen Marktes erkannt, da immer mehr Menschen E-Books und Hörbücher nachfragen. Daher fordern Verlage, die ihre Bücher normalerweise nicht in digitalen Kanälen vermarkten, seit letztem Jahr E-Book- und Hörbuch-Rechte sowohl für neue Titel als auch für ihre Backlists.

Ein Beispiel: Die App Storytel wurde im Mai 2018 in der Türkei eingeführt und startete eine beachtliche Werbekampagne. Im Lockdown begannen Leser, die mit der App vertraut waren, vermehrt Hörbücher via Storytel zu hören. Auf dem türkischen Markt werden E-Books heute in der Regel von Kindern über 12 Jahren gelesen, während Hörbücher eher von Kindern über 8 Jahren bevorzugt werden. Titel für junge Erwachsene sind sowohl als E-Books als auch als Hörbücher beliebt. Kinderbücher als Games sind dagegen nicht sehr populär. Aber ich glaube, dass wir in naher Zukunft mehr und mehr neue Unternehmen sehen werden, die Apps für Bilderbücher entwickeln.

Im internationalen Kinder- und Jugendbuchmarkt spielen Themen wie kulturelle Sensibilität, Diversität und Inklusion in den Geschichten eine immer größere Rolle. Wie nimmst du als Literaturagentin für Kalem Agency diese Entwicklung wahr?

Da die Zahl der syrischen Flüchtlinge in der Türkei gestiegen ist, haben einige Verlage begonnen, nach Kinderbüchern über kulturelle Vielfalt zu suchen. Um uns von unseren Vorurteilen zu befreien, spielen Kinderbücher überall auf der Welt eine wichtige Rolle. Selbst wenn es im Titel nicht um Diversität geht, suchen die meisten Verlage heute nach unterschiedlichen Charakteren in den Illustrationen. Unsere Agentur hat jetzt begonnen, einen Titel namens „Don't Stare at Me!“ anzubieten – ein Bilderbuch über die Akzeptanz von kulturellen Unterschieden. Der Autor Gökçe Gökçeer und die Illustratorin Pelin Turgut erzählen darin eine Geschichte über Kinder, die als "anders" abgestempelt werden und erinnern uns daran, dass jeder von uns einzigartig und besonders ist – egal wie anders man aussieht oder sich verhält. Die Rechte dieses Titels wurden in der ersten Woche in vier Sprachen verkauft! Daher glaube ich, dass Verleger aus der ganzen Welt nach Titeln zu diesen Themen suchen.

Ein kleiner Blick in die nahe Zukunft: Wie wird sich der Kinderbuchmarkt in den nächsten Jahren vor dem Hintergrund der Digitalisierung ändern?

Als altmodischer Leser, der bei E-Books den Geruch von Papier vermisst, habe sogar ich mich in den letzten zwei Jahren an Hörbücher gewöhnt. Ich glaube, die Pandemie ist ein Antreiber in der Digitalisierung von Büchern und der Trend, E-Books zu lesen und Hörbücher zu hören, wird bei Kinderbüchern stetig zunehmen. Die Digitalisierung wird Young Adult- und Kinderbücher auch für Erwachsene zugänglicher machen, da ein gutes Kinderbuch von allen Altersgruppen gelesen werden kann. Wie Roald Dahl sagt: "Die größten Geheimnisse sind immer an den unwahrscheinlichsten Orten versteckt. Diejenigen, die nicht an Magie glauben, werden sie nie finden."

Dabei glaube ich nicht, dass Apps und Spiele die Verkaufszahlen von klassischen Bilderbüchern verringern werden. Bilderbücher sind eine Einführung für Kinder in die magische Bücherwelt. Und um richtig in diese neue Welt eingeführt zu werden, müssen Kinder die Seiten berühren, wenn sie mit ihren Eltern, Großeltern und Lehrern Bücher lesen.

Herzlichen Dank für das Interview!

Das Interview führte Frank Krings, PR Manager der Frankfurter Buchmesse. Es ist Teil von Digital Cross Over - ein branchenübergreifendes Projekt im Rahmen des Förderprogramms Creative Europe der Europäischen Kommission.